„Die Anwohner stärker einbeziehen“ – Interview mit Dipl.-Psych. Dirk Schreckenberg

Dipl.-Psych. Dirk Schreckenberg. Quelle: Beichert/UNH

Dipl.-Psych. Dirk Schreckenberg von der ZEUS GmbH in Hagen leitete die Lebensqualitätsstudie. Zudem war er neben Prof. Dr. Rainer Guski Gesamtleiter der NORAH-Studie. Im Interview erzählt der Psychologe, wie es zum Change Effekt kommt und welche praktischen Konsequenzen seine Studie haben könnte. Außerdem verrät er, ob er durch seine Arbeit auch selbst anders als früher auf Lärm reagiert.


NORAH Wissen: Ihre Studie zeigt, dass der Dauerschallpegel – also die durchschnittliche Lautstärke und Menge des Lärms – nur zum Teil erklären kann, wie stark sich Menschen belästigt fühlen. Heißt das, die Menschen steigern sich in ihre Belästigung hinein?


Dirk Schreckenberg: Ganz klar: nein. Bei unseren Befragungen sollen die Menschen ja nicht schätzen, wie viel Dezibel sie hören. Sie sagen schlicht und einfach, ob sie das, was sie hören, belästigt. Das heißt, sie bewerten ihre Situation: den Lärm selbst, also wie laut und lang die Geräusche in ihrer Wahrnehmung sind, wie oft sie auftreten. Aber auch die Uhrzeit spielt eine Rolle, und das, was sie gerade tun. Wenn ich tagsüber den Rasen mähe, stört mich ein Flugzeug weniger als abends, wenn ich mit Freunden auf der Terrasse sitzen und den Sommerabend genießen möchte. Das alles fließt in die Antworten ein.


Besonders deutlich zeigt sich der „menschliche Faktor“ beim so genannten Change Effekt. Wie kommt es, dass sich eine ganze Region stärker belästigt fühlt, wenn ein Flughafenausbau ansteht?


Darüber kann die Wissenschaft im Moment nur Vermutungen anstellen. Was wir wissen ist, dass das kein Einzelphänomen ist, das nur in Frankfurt oder nur bei Fluglärm auftritt. Es gibt auch Studien, die einen Change Effekt bei Straßenlärm beobachtet haben. Eine mögliche Erklärung ist, dass Menschen grundsätzlich stärker auf Änderungen reagieren als auf etwas, das konstant immer da ist. Wenn sich eine Geräuschsituation verändert, merken das die Menschen und sind besonders aufmerksam. Und das schlägt sich auch im Belästigungsurteil nieder.

Eine weitere Erklärung ist, dass auch nicht-akustische Faktoren einen Einfluss darauf haben, wie stark sich jemand belästigt fühlt. Dazu gehört die Einstellung zur Lärmquelle, also ob man zum Beispiel den Flugverkehr oder Autos grundsätzlich sinnvoll findet. Und auch die Einstellung zu den verantwortlichen Institutionen spielt eine Rolle: ob etwa die Landespolitik, die Fluglinien oder die Kommunen die Wohnsituation der Menschen ernst nehmen und sie vor Lärm schützen. Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich Menschen weniger belästigt fühlen, wenn sie Vertrauen in diese Institutionen haben.


Lassen sich aus dieser Erkenntnis auch praktische Konsequenzen ziehen?


Ja, das kann man sicher für eine künftige Lärmschutzplanung nutzen – etwa, indem man die Anwohner stärker einbezieht. Ein konkretes Beispiel: Seit April 2015 gibt es so genannte Lärmpausen am Frankfurter Flughafen. Man versucht damit, in einigen Gebieten zusätzlich zur sechsstündigen nächtlichen Betriebspause eine weitere Stunde der Entlastung zu ermöglichen, indem man bestimmte Landebahnen abends in der Stunde davor oder morgens in der Stunde danach nur eingeschränkt nutzt. Das heißt, einige Regionen werden zwischen 22 und 23 Uhr entlastet und andere zwischen fünf und sechs Uhr morgens. Das geht nicht überall und auch nicht immer, weil es zum Beispiel von der Windrichtung abhängt, welche Bahnen zur Verfügung stehen. Trotzdem halte ich es für sinnvoll, dass man die Anwohnerinnen und Anwohner über solche Maßnahmen informiert. Idealerweise sollten sie auch an der Entscheidung über Schallschutzmaßnahmen partizipieren, wann immer sich diese Möglichkeit bietet.


Zum Schluss noch ein persönliche Frage: Sie beschäftigen sich ja schon seit mehreren Jahren mit der Wirkung von Verkehrslärm. Reagieren sie heute auch anders auf Lärm als früher?


Ja und Nein. Bei mir zu Hause ist zum Beispiel kein sehr lauter Fluglärm zu hören. Trotzdem bemerke ich, dass es mir häufiger auffällt als früher, wenn ein Flugzeug über mich hinwegfliegt. Ich sehe dann nach oben und denke mir: Das ist ja noch in Ordnung. Mal sehen, wie es in zehn Jahren sein wird. Das heißt, ich bin aufmerksamer, aber der Lärm belästigt mich nicht stärker als vorher.

Herr Schreckenberg, vielen Dank für das Gespräch!

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